IVBS-Kongress ganz im Zeichen aktueller Forschung

Der 30. Jahreskongress der wissenschaftlichen Vereinigung IVBS (Internationale Vereinigung für Binokulares Sehen) war von der Erforschung des Binokularsehens geprägt: Die IVBS-Mitglieder votierten für die finanzielle Unterstützung einer großen Studie in der Schweiz, die Vorträge begannen mit Forschungsergebnissen zur binokularen Koordination beim Lesen, und schließlich wurde eine mit dem Hans-Joachim-Haase-Preis ausgezeichnete wissenschaftliche Arbeit präsentiert. Entsprechend positiv war die Stimmung der Teilnehmer auf einem besonderen Kongress in Mainz.

 

Podiumsdiskussionen

Der Kongress wartete gleich am ersten Tag mit neuem Konzept auf: In zwei Podiumsdiskussionen wurden am Samstagnachmittag Brennpunkt-Themen aufgegriffen, zu denen ausgewählte Fachleute aktuelle Informationen aus erster Hand lieferten. Zunächst ging es um die Pros und Cons der "3D-Refraktion", die zweite Runde beschäftigte sich mit der provokanten Frage, wer sich bei Binokularstörungen überhaupt noch zuständig fühlt. Erwartungsgemäß fand in beiden Fällen ein reger Austausch statt. Dabei wurden auch kontroverse Standpunkte deutlich, die Diskussion blieb jedoch stets sachlich und kollegial. Auch viele Zuhörer beteiligten sich mit wertvollen Anmerkungen und Fragen und trugen dazu bei, dass es durchgängig spannend blieb.

Auch am Ende einer heißen Diskussion noch gut gelaunt: Dr. Christian Bossard, Thomas Truckenbrod, Birgit Wahl, M.Sc. und Dr. Fritz Gorzny (v.l.n.r.)

 

Aktuelle Forschungsergebnisse

Den Eröffnungsvortrag am Sonntagmorgen hielt Prof. Dr. Stephanie Jainta von der Fachhochschule Nordwestschweiz (FH NW) zum Thema "Forschungsergebnisse zur binokularen Koordination beim Lesen: mit beiden Augen liest man besser." Eindrucksvoll veranschaulichte die Referentin, dass es typische Muster der binokularen Koordination und Verarbeitung beim Lesen gibt, wobei sich eindeutig binokulare Vorteile zeigen: "Man ist grundsätzlich schneller und identifiziert Worte effizienter, wenn man mit beiden Augen liest", so Prof. Jainta. Dabei scheine die individuelle Heterophorie einen Einfluss zu haben, sowohl auf die motorische Fusion wie auch auf Aspekte des binokularen Vorteils. Offen sei noch, wie sich individuelle Problematiken im Binokularsehen auswirkten.

 

Große Studie in der Schweiz

Die von Prof. Jainta angesprochenen offenen Fragen sollen in einem umfangreichen Forschungsprojekt am Institut für Optometrie der FH NW untersucht werden. Dabei wird modernste Eyetracking-Technologie eingesetzt, um zu zeigen, wie sich prismatische Korrektionen auf die Koordination beim Lesen auswirken. Für diese auf zwei Jahre ausgelegte Studie bewilligte der Schweizerische Nationalfond jetzt 316.000 Schweizer Franken. Trotz dieser erfreulich hohen Förderung fehlen noch ca. 30.000 Schweizer Franken für Brillenfassungen und prismatische Brillengläser. Diesen Betrag stellt die IVBS nach einem Beschluss ihrer Mitglieder in der Generalversammlung zur Verfügung, so dass dem bislang größten Forschungsprojekt zum Thema Heterophorie und MKH-Korrektion nichts mehr im Wege steht.

Prof. Dr. Stephanie Jainta gab faszinierende Einblicke in die Erforschung von Blickbewegungen

 

Thomas Truckenbrod informiert über HHVG

Ein weiteres Novum war, dass die Mitglieder der IVBS im Rahmen der Generalversammlung in den Genuss eines Gastvortrages kamen. Aus aktuellem Anlass erläuterte ZVA-Präsident Thomas Truckenbrod Entstehung und Inhalte des "Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetzes" und informierte über den aktuellen Sachstand zur Umsetzung dieses umstrittenen Gesetzes.

 

Hochkarätiges Vortragsprogramm am Sonntag

An den Eröffnungsvortrag von Prof. Jainta schlossen sich acht weitere nicht minder spannende Vorträge an. Dabei spiegelten die Themen auch die Vielfalt des Generalthemas Binokularsehen wider. So stand in zwei Vorträgen das Sehen bei Kindern im Fokus, gefolgt von Funktionaloptometrie, Skiaskopie und einem besonderen Praxisfall. Auf großes Interesse stieß natürlich auch das Thema Gleitsichtbrille und Prisma. Zum Abschluss wurde den Teilnehmern ein pfiffiges Monitoring-Tool zur Langzeitbeobachtung physiologischer Änderungen nach prismatischen Korrektionen vorgestellt. Es erlaubt, alle wichtigen Parameter einer optometrischen Versorgung zu dokumentieren und gegenüberzustellen. Das Vortragsprogramm war in drei Blöcke unterteilt, und an jeden Block schloss sich eine Diskussionsrunde an, in der die Kongressteilnehmer Fragen an die Referenten richten konnten. Dieses Konzept hat sich seit vielen Jahren bei der IVBS bewährt, und auch in diesem Jahr wurde von der Möglichkeit des offenen Dialogs reger Gebrauch gemacht.

Blick in den vollbesetzten Plenarsaal während der Vorträge

 

Hans-Joachim-Haase-Preis

Ein weiterer Höhepunkt des diesjährigen Kongresses war Verleihung des Hans-Joachim-Haase-Preises. Diesen mit 2.500 Euro dotierten Preis vergibt die IVBS für besondere Verdienste um die binokulare Korrektion, insbesondere für wissenschaftliche Arbeiten oder andere Leistungen zur Förderung der MKH. In diesem Jahr wurde mit dem Preis erstmals eine studentische Arbeit ausgezeichnet. Dies möge Studenten motivieren, sich in ihrer Abschlussarbeit dem Binokularsehen zu widmen, so IVBS-Präsident Georg Stollenwerk. Die diesjährige Preisträgerin Ina de Waal hatte in ihrer Masterarbeit an der Berliner Beuth-Hochschule Auswirkungen von Kontrastvariationen des Rahmenfusionsreizes am MKH-Kreuztest untersucht. Im Anschluss an die Preisverleihung stellte sie ihre Arbeit in einem Vortrag vor. Als vor rund drei Jahren im Rahmen der "3D-Refraktion" die MKH-Teste ohne fachliche Begründung plötzlich vor einem 3D-Hintergrundbild dargeboten wurden, riet die IVBS dazu, diese Darstellungsoption so lange zu deaktivieren, bis geklärt ist, ob und wie sich ein solcher "3D-Rahmen" auswirkt. Frau de Waal hat diese (und andere) Fragen beantwortet: Verglichen mit dem originalen Rahmenfusionsreiz fällt das Nullstellungsprisma am Kreuztest mit 3D-Hintergrundbild rund 1,5 bis 2 Prismendioptrien geringer aus. Entsprechend lautet ihr Fazit: "Das 3D Bild sollte als Rahmenfusionsreiz bei der MKH nicht genutzt werden, da durch die starke Verringerung des Nullstellungsprismas weiterhin korrektionsbedürftige assoziierte Heterophorien bestehen können." Damit wurden die kritischen Annahmen der IVBS bestätigt, und auch weitere Ergebnisse der Masterarbeit belegen die Richtigkeit der Theorie Hans-Joachim Haases zu diesem Aspekt.

Die Preisträgerin des Hans-Joachim-Haase-Preises 2017, Ina de Waal, mit Prof. Ralph Krüger (Sprecher des wissenschaftlichen Beirats der IVBS) und Georg Stollenwerk (Präsident der IVBS)

 

Fazit und Ausblick auf 2018

Mit rund 220 Anmeldungen zu den Podiumsdiskussionen am Samstag und zu den Vorträgen am Sonntag war der diesjährige IVBS-Kongress ein voller Erfolg. Die überaus positive Resonanz der Teilnehmer belegt zudem die Notwendigkeit derartiger Fortbildungsveranstaltungen auf hohem fachlichen Niveau. Harmonische Stimmung und kollegialer Erfahrungsaustausch prägten auch die Abendveranstaltung des Kongresses. Auf der Industrieausstellung informierten an beiden Tagen ausgewählte Partner und Sponsoren der IVBS über aktuelle Entwicklungen. Organisatorisch richtet sich derweil der Blick bereits auf die nächste Tagung: Für den 5./6. Mai 2018 lädt die IVBS erneut in die rheinland-pfälzische Landeshauptstadt Mainz ein – zu einem Jubiläumskongress, denn die Vereinigung wird dann 30 Jahre alt. Informationen dazu folgen auf www.ivbs.